Last Updated on 1. Dezember 2019 by Sylvia Nickel
Minimalismus: seit vier Jahrzehnten beschäftigt mich der Gedanke, alles nur einmal anschaffen zu müssen, wenn die Qualität denn stimmt, und nur das zu besitzen, was man benötigt, denn das eine oder andere kleine Erinnerungsschnipsel in materieller Form kommt sowieso automatisch hinzu: Die Muschel, die an den besonderen Tag am Strand erinnert, die Konzertkarte, der Bierdeckel des Besuchs einer Craft Beer Brewery usw.Meine Motivation ist ganz unpolitisch, denn dies war ich zu Kindheitstagen sicher nicht; vielmehr lebte mir meine Familie (oder vielmehr einige Personen im Umfeld) diese Werte vor. Bei einem Wunsch, beispielsweise nach einer Mundharmonika, wurde eine qualitativ hochwertige [Hohner] angeschafft, verbunden mit der Antwort auf die zuvor gestellte Frage: »bist Du überzeugt, dass Du dieses Instrument erlernen willst?« Ich spiele – wenn auch selten und recht amateurhaft – diese Mundharmonika noch heute (danke, Opa).
Seither kaufe ich das, von dem ich überzeugt bin, es bis an mein Lebensende nutzen und schätzen zu wollen. Da muss schon ordentlich Qualität die Basis sein. Für viele Gegenstände hat sich dies auch bewahrheitet: Ein britischer Trench aus dem Jahr 1977, [Sendra Bikers] Motorradstiefel, die seit 1988 im Einsatz sind, zwei [Leolux Divi-Divi] Sessel, die seit 1990 meine Wohnung zieren, eine [Braun Multiquick 7 K 3000] Küchenmaschine, die seit 1992 im täglichen Einsatz ist – ebenso seitdem die gewaltige [KitchenAid] andere –, eine Leuchte, die mich seit 1984 im Büro begleitet, ebenso wie der manuelle Tischanspitzer von Caran d’Ache, ein [Montblanc]Füller, der seit 1985 samt Tintenroller (nachfüllbar ohne Fabrikpatrone) im Dauereinsatz ist, der „perceptual calendar“ nach dem Design von Jean Pierre Vitrac, den ich in Rom im schönen Jahr 1973 mit sieben Jahren unbedingt haben wollte (und der meinen Vater damals ein kleines Vermögen gekostet hat, aber seit 40 Jahren auch im Museum of Modern Art hängt, was ich erst mit 25 Jahren realisiert habe) … ich könnte jetzt sehr vieles aufzählen.
Nein, 100 or less … das schaffe ich nicht 😉
Natürlich gibt es auch einen natürlichen Verschleiß beim einen oder anderen Nutzungsgegenstand. Nicht selten befällt mich ein Anflug von Trauer, wenn ich entscheide, mich davon zu trennen, weil der Funktionszweck nicht mehr erfüllt ist. Am liebsten hätte ich einen Gnadenhof namens Museum für die lieb gewonnenen kleinen und großen Gegenstände eröffnet, die fortan nicht mehr zum Alltag gehören.
Wer ist der wahre Minimalist?
Mittlerweile beobachte ich, wie intensive Diskussionen rund um das Thema Minimalismus stattfinden und nahezu ein Wettbewerb um »wer ist der wahre Minimalist« ausgebrochen ist. Das erinnert mich sehr stark an alle Strömungen, in welchen Menschen andere Menschen missionieren wollen, Anerkennung suchen und trennendes Denken (du bist gut – ich bin aber besser) anwenden. Puuuuh… ist es in dieser Zeit nur noch möglich, extrem zu sein? Kann man nicht einfach sein Ding machen und akzeptieren, dass andere einen anderen Weg gehen? Die Grenze zwischen nahezu krankhaftem Verhalten und gesundem Wertmaßstab würde ich da ziehen, wo die Missionierung anderer beginnt, einhergehend mit der eigenen sozialen Isolation. – Der Begriff »Minimalismus« fasst meines Erachtens viele Ströme zusammen, die zurzeit zu beobachten sind. Die Motive sind ganz verschieden:
- Leben (fast) ohne Geld,
- funktionales Design,
- Nachhaltigkeit in Produktion, Transport und Nutzung sowie
- Qualität,
- Spiritualität und Achtsamkeit.
Da wundert es mich nicht, dass manchmal (scheinbar) widersprüchliche Meinungen aufeinanderprallen. Meine Ernährung gehört für mich zu meinem Minimalismus dazu:
Als »Zeitmanager« ist dies auch eine wesentliche Überlegung: wenn der Körper richtig funktionieren kann, der Geist geerdet ist, dann kann auch die Zeit sinnvoll genutzt werden, in jeder Sekunde, mit jedem Atemzug (und wenn es eine Ein-Minuten-Meditation ist). Zeitmanagement (oder besser: Gelassenheit) und Lebensführung bedingen sich gegenseitig; in einem nervösen Körper kann kein ruhiger Geist wohnen und umgekehrt.
»Ich könnte so nicht leben«
Manchmal stelle ich Abwehrhaltungen fest, wenn ich, auf mein »Rezept« nach Vitalität gefragt, die Frage offen und ehrlich beantworte: »Viel Gemüse und Obst, ein paar Nüsse und in homöopathischen Dosen das eine oder andere aus der Fabrik, wohl wissend, dass dies ein Gemisch aus hoch verarbeiteten Indigrenzien ist, wovon etliche mit Natürlichkeit nichts zu tun haben.« Dann kommt sofort »ich könnte so nicht leben.« – Dabei habe ich das nicht verlangt oder behauptet, man müsse es; ich habe ehrlich auf die mir gestellte Frage geantwortet: »Wie machst Du das, so fit und schlank zu sein?« – Und dann erinnere mich: auf meinem Weg zu meiner heutigen Ernährung (die nun nicht spektakulär, aber für mich achtsam ist) habe ich anfängliche Ablehnung einer bestimmten Ernährungsweise stets als Schalter erlebt, genau diesen Weg einzuschlagen. Ich habe mich beispielsweise wochenlang damit gedanklich beschäftigt, welche Lebensqualität ein Rawtill4, das fruityourself, der Ansatz von paleovegan usw. bringt und welche Lebensqualität dies sein soll. Die ersten Gedanken waren ablehnend, genauer: »ich könnte und wollte so nicht leben.« Als Ökonomin suchte ich unbewusst den Preis für die Leistung. Er erschien mir zu hoch, in diesem Moment, in jener Phase: gesund, vital und fit sein (= Leistung), indem ich mich bio, (möglichst) vegan ernähre und aus nahezu jedem Handgriff (richtig ausgeführt) eine sportliche Einlage mache (=Preis)? – Absurd, dachte ich. Dann startete ich den Selbstversuch. Den ersten brach ich meist kopfschüttelnd (»so könnte ich nicht leben«) nach drei Tagen ab. »Nur Obst? Nur Rohkost? – Geht’s noch?!?« − Zwei Wochen machte ich weiter im alten Trott und beschäftigte mich mit dem Gedanken, z. B. »du könntest nur von Rohkost leben.«. Und ein paar Wochen später stellte ich dann fest, dass ich ganz unbewusst mein Verhalten genau dahingehend geändert hatte. Wirklich verrückt. Psychologisch jedoch erklärbar:
Aber, wenn wir den Mut haben, unsere Angst vor diesem Neuen zu überwinden, die Komfortzone zu verlassen, können wir es annehmen; sehr interessant. – Was lehnst Du gerade kopfschüttelnd ab? 😉
Was ist Dein Urprogramm?
Zurück zu meinem Verständnis von Minimalismus, denn zurzeit bewegen mich schon einige fundamentalistische Behauptungen wie »Minimalismus ist das Freimachen von Zwängen« im Sinn von fremdgesteuerten Leben, vielleicht sogar von Abhängigkeiten (welcher Art auch immer). Da schüttele ich innerlich den Kopf, denn für mich ist Minimalismus ein Weg der Achtsamkeit, einer des bewussten Lebens: nicht gierig horten, sondern das besitzen, was man braucht und regelmäßig nutzt, was man wertschätzt. Wenn ich einem Gegenstand keine Wertschätzung mehr entgegenbringe(n kann), dann brauche ich ihn nicht mehr und kann ihn verschenken oder verkaufen, damit andere sich daran erfreuen. »Zwang« kommt von außen (übrigens ebenso wie die Dringlichkeit). Ich aber will (weil es für mich eine Wichtigkeit ist) 🙂 Ebenso wie bei der Ernährung werde ich vielleicht meinen Wert künftig als Maximalist bezeichnen: Ein Maximum an Nutzungsdauer, Lebensfreude und natürlichen (Nähr-)Stoffen. Insofern gilt: Weniger ist Mehrwert. Dies ist die Grundlage meines Handelns, denn der Fokus gilt dem einen Moment, der zählt: jetzt.
Ich verrate Dir mein Veränderungskonzept in Sachen Ernährung und Fitness (übertragbar auf fast alles) –> hier.
Weitere Webinare von mir findest Du auf edudip und sofengo. Die Literatur, Vorträge und Videos habe ich hier für Dich zusammengestellt.
Eine entspannte Zeit,
Sylvia
Nachtrag am 09.11.2016:
Wie ich dank meines RSS-Readers gerade feststelle hat auch Stephan List einen lesenswerten Beitrag zum Minimalismus in seinem Blog veröffentlicht: Feature zum Minimalismus.
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